Ein Nachschlag zum Influencer-Marketing.

Aus Sicht eines Internetlebewesens können diese Influencer nicht lesen und schreiben – in dem Sinne, dass sie die grundsätzlichen Voraussetzungen für Kommunikation im Internet noch nicht erlernt haben. Sie sind nicht in der Lage eine Internetseite zu hosten um ihre Bilder irgendwo hoch zu laden. Stattdessen sind sie auf eine App angewiesen, die das für sie erledigt. Sie können keinen Photoshop-Klon benutzen um ein Wasserzeichen auf ihre Bilder zu machen. Sie sind auf eine App angewiesen. Und weil sie immernoch kein Photoshop benutzen können, sind sie auch noch auf eine App angewiesen um ihre Pickel zu retuschieren.
Natürlich, weil ihnen jemand gesagt oder gezeigt hat, dass man mit sechzehn Jahren hässlich ist, wenn man Pickel hat.
Und hinter jeder dieser Single-Purpose-Apps steckt ein Geschäftsmodell. Effektiv kostenlos ist keine davon. Auch wenn die “Apps für die Hilflosen” nicht immer Geld kosten mögen, irgendwas von Wert wird immer verlangt. Das kann auch so etwas Unzählbares wie “geschäftliche Abhängigkeit“, “Verbleib in der Unmündigkeit” oder “die Option auf einen Upsale” sein.

Aus Sicht eines Internetlebewesens sind die breite Masse der Influencer hilflose bzw. hilfsbedürftige Menschen. Die macht man nicht zum Ziel seines Geschäftsmodells. Also man kann schon, aber dann ist man halt ein unmoralischer Mensch und es benötigt einen gesellschaftlichen Konsens für Sanktionen. Oder irgendeine Lösung die mit kaputten Kniescheiben zu tun hat. Da lasse ich mit mir verhandeln.

Darüber hinaus betreibt man mit dem Influencer-Marketing kaum etwas anderes als technologiegestützte Esoterik. Esoterik im etymologischen Sinne einer undurchsichtigen Geheimwissenschaft. Die Algorithmen, Methoden und AGBs der SocialNetworks sind weder einsehbar noch verständlich oder arbiträr. Googel selbst sagt, sie optimieren ihre Algorithmen auf die Verhinderung von Sekundäroptimierung durch SEO.
Eine ganze Generation von Jugendlichen auf Kaffeesatzleserei der black boxes der drei großen Internetkirchen FAG (“Facebook Amazon Google” – no pun intended) zu dressieren ist ebenso unmoralisch. Sätze wie “sei authentisch dann bekommst du Follower in deiner werberelevanten Zielgruppe” will ich nie wieder hören!

So laut wie wir damals über Neuland gelacht haben, so sehr blieb uns das Lachen auch Halse stecken, wenn wir heute etwas genauer darüber nachdenken.

Es braucht Emanzipation gegenüber der modernen Werkzeuge. Emanzipation in einem Sinne, dass man weiß, dass man nicht von der Pickel-Retuschier-App abhängig ist, wenn sie ihre AGBs, Bezahlmodelle oder Preisstrukturen ändert. Aber auch Emanzipation gegenüber den Internetkirchen. Wenigstens die Erkenntnis, dass die SocialMediaInfluencer-Lebensgrundlage die man sich da gerade unter Aufgabe jeglicher Würde aufbaut, am seidenen Faden hängt, sollte jedem dauerhaft präsent sein, der sich auf diese Höhle der Löwen Insel der Sirenen begibt.

Eine Analogie aus den 90er Jahren: Um man einen IKEA-Schrank zu kaufen muss man nicht selbst ein Schreiner sein. Aber man sollte wenigstens Holz- von Metallschrauben unterscheiden können.

Die Goldgräberstimmung und der Wilde Westen im Internet wird eines Tages enden. Und ohne grundsätzliches Wissen über die Verwendung der einfachsten Werkzeuge, werden die Influencer-Stars von heute zum Prekariat von morgen. Gefangen in, hilflos gegenüber und abhängig von den seelenlosen Maschinenkonzernen der Zukunft.

Reitanweisung: *bedrohliches Donnergrollen am Horizont*

Frei nach Kant und Marx: Das Proletariat hat nichts zu verlieren als die Ketten seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
Das war damals so wahr wie heute.